Die Augen der Welt werden sich im Frühsommer auf Großbritannien richten, dann nämlich, wenn Premier David Cameron seine Landsleute am 23. Juni über einen Verbleib in der EU im Zuge eines Referendums abstimmen lassen wird. Die so genannte „Brexit-Debatte“ ist keineswegs neu, sondern ein Theaterstück, das seit nunmehr vielen Jahrzehnten aufgeführt wird. Im britischen Guardian fand sich zu diesem Thema jüngst ein lesenswerter Bericht von Robert Hunter, einst aktiv im Weißen Haus und ehemaliger US-Botschafter bei der NATO, den ich an dieser Stelle ein wenig genauer unter die Lupe nehmen möchte.

Es ist ein offenes Geheimnis, mit welch offener Ablehnung die „eiserne Lady“ Margaret Thatcher nicht nur den europäischen Institutionen, sondern vor allem auch dem Euro vor ihrem Ableben gegenüber gestanden hatte. Einst ließen sich die Positionen der Briten mit Blick auf die EU in etwa wie folgt zusammenfassen:

  • Notwendigkeit zur Bildung einer politischen Union, die gemeinsamen Zielen folgt.
  • Dabei jedoch Erhalt der kulturellen Traditionen in den einzelnen Mitgliedsländern, sowie
  • Erhalt der parlamentarischen Machtbasis in den einzelnen Mitgliedsländern bei Wahrung des jeweiligen Nationalstolzes.

EU-Verbleib: Nagelprobe für Premier David Cameron

Es wird sich bald zeigen, welche Positionen Cameron in der Heimat zur Grundlage dafür machen wird, um die Briten in Bezug auf das anstehende Referendum zu einem Verbleib in der Europäischen Union zu bewegen. Bei den oben aufgeführten drei handele sich dabei jedoch nicht um die Worte von David Cameron, sondern um die einstigen Worte von Margaret Thatcher.

Bereits vor mehr als 50 Jahren tobte in Großbritannien eine Debatte, die sich zum damaligen Zeitpunkt darum drehte, ob die regierende Labour-Führung ihren Antrag zur Aufnahme in die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) zurückziehen sollte oder nicht. Diese Debatten wurden insbesondere auf Ebene britischer Think Tanks ausgetragen, die sich in diesem Punkt alles andere als einig waren.

Letztendlich setzte sich das Lager um den Think Tank Chatham House durch, das sich für die Aufrechterhaltung der Aufnahmeverhandlungen ausgesprochen hatte. Laut den Ausführungen Hunters habe sich trotz allem recht schnell abgezeichnet, dass das britannische Herz nicht voll bei der Sache gewesen sei. Auch auf dem Kontinent gab es hier und dort große Vorbehalte. 

Briten als „trojanisches Pferd“ der USA in Europa?

Es waren die Franzosen, die damals davor warnten, dass die Washingtoner US-Regierung die Briten als „trojanisches Pferd“ auf dem europäischen Kontinent einschleusen wollten. Hunter, der zu einem späteren Zeitpunkt im Weißen Haus beschäftigt war, teilt diese Ansicht. Es habe sich tatsächlich auf diese Weise verhalten, so dass die damals ins Feld geführten Bedenken der Franzosen berechtigt gewesen seien.

Aus diesem Grund sei der Auffassung des französischen Staatspräsidenten Charles de Gaulle beizupflichten, als dieser sich damals offen gegen eine Aufnahme Großbritanniens in die EWG ausgesprochen hatte. Einerseits sei es damals so Hunter, um einen Kampf um die Vormachtstellung und andererseits um den größten politischen Einfluss in der EWG gegangen.

Doch selbst in Großbritannien habe sich zu jedem Zeitpunkt eine unterschwellige Ablehnung im Hinblick auf die EWG und deren Nachfolgerin der WEU beobachten lassen. Der Londoner Bürgermeister Boris Johnson, der sich nun offen gegen Cameron und einen Verbleib seines Landes in der EU ausgesprochen hat – und das Lager der Nein-Sager anführt – legt darüber Zeugnis ab.

Dreifachrolle aus Europa, Commonwealth und einer privilegierten Partnerschaft mit den USA

Großbritannien habe seine Rolle innerhalb Europas niemals definieren können, wie Hunter weiter ausführt. Es sei Sir Humphrey Appleby gewesen, der dies wohl am Besten in Worte gefasst und zum Ausdruck gebracht habe, als dieser einst erklärte: „Unsere europäischen Feinde, äh Partner.“ Egal unter welcher Regierung – Großbritannien habe sich niemals für ein Zusammenwachsen des europäischen Kontinents stark gemacht.

Doch dieser Aspekt wäre wichtig gewesen, so Hunter, um die Machtbalance auf dem Kontinent zu wahren. Vielmehr habe sich Großbritannien in seiner Dreifachrolle aus Europa, Commonwealth und einer privilegierten Partnerschaft mit den Vereinigten Staaten gefangen gesehen. Und derart vielfältig war selbstverständlich auch die jeweilige Interessenlage. Oft resultierten die daraus erwachsenen Spannungen aus sicherheitspolitischen Interessen.

Hunter berichtet von seiner Berufung zum US-Botschafter bei der NATO im Jahr 1993. Die britische Regierung sei damals von dem Standpunkt ausgegangen, dass die WEU nicht nur die NATO, sondern auch den transatlantischen Bund in Gefahr bringen könne. Aus Hunters Sicht sei dies nur schwer verständlich gewesen, da eine verbindliche Haltung zur NATO nicht mit einer voranschreitenden Integration in Europa kollidiert hätte.

Boykott der EU auf dem Silbertablett serviert

Auch die Aufrechterhaltung des amerikanischen Schutzschildes zugunsten der europäischen Sicherheitspolitik wäre dadurch nicht in Mitleidenschaft gezogen worden. Damals habe sich die US-Regierung von den Gedankenspielen in London abgesetzt, um die Integration der WEU mit allen Mitteln zu fördern. Heute zeigt sich, dass die Vereinigten Staaten tonangebend sind, wenn es um die Belange der EU und den Entwicklungen in der Eurozone geht.

Für Großbritannien sei, so Hunter weiter, eine neue Chance zu einem Boykott der Nachfolgeinstitution EU auf dem Silbertablett präsentiert worden, als die NATO und die EU die Entscheidung trafen, neue Mitgliedsländer aus Zentral- und Osteuropa in ihren Club aufzunehmen. Für Hunter habe die britische Leitlinie wie folgt ausgesehen: die NATO klein halten, damit sie einsatzfähig ist und die EU vergrößern, um diese zu paralysieren.

Dies sei auch Grund gewesen, weswegen sich London im Jahr 1997 nur für die Neuaufnahme von Polen, der Tschechischen Republik, Ungarn und Slowenien in die NATO ausgesprochen habe. Doch die Rechnung ist für die Briten nicht aufgegangen. Zwar wird unter den nun 28 Mitgliedern der Europäischen Union fast täglich aufs Heftigste über alle möglichen Themen gestritten.

Keine Einigkeit zwischen EU-Alt- und Neumitgliedern

Doch auch innerhalb der NATO ließen sich heute dieselben Spannungen beobachten, da zwischen den Interessen der Alt- und Neumitglieder keine Einigkeit bestünde. Um an dieser Stelle noch einmal auf Sir Humphrey zu sprechen zu kommen, so erklärte dieser einmal, dass umso mehr Mitglieder die EU haben werde, desto mehr würden Argumente unterschiedlicher Interessen aufkommen.

Und weil dies so sei, werde die EU irgendwann immer unsteuerbarer und impotenter. Nun, aus heutigem Blickwinkel lässt sich Sir Humphrey wohl Recht geben. Denn die EU hat es – trotz Mahnungen aus dem Lager von zahlreichen Kritikern – niemals geschafft, eine gemeinsame Verteidigungspolitik aufzubauen, geschweige denn eine Sicherheit der eigenen Außengrenzen auf die Reihe zu bekommen.

Wie impotent die Brüsseler EU in diesem Hinblick tatsächlich ist, zeigt die anhaltende Welle der Zuwanderung aus dem Nahen Osten und Nordafrikas. Dies war auch ein Thema, um das es in den Frankfurter Börsengesprächen ging. Im Gespräch mit Dirk Müller, in dem es unter anderem auch um die NWO und eine vermeintlich ins Auge gefasste Weltregierung ging, verlieh ich meiner Skepsis in dieser Hinsicht Ausdruck.

Warum? Weil die EU das beste Beispiel dafür ist, dass 28 Mitglieder selbst nach einer langen Zeit der Integration noch immer mit 28 verschiedenen Stimmen sprechen. Aus eigener Erfahrung weiß ich darüber hinaus, welche krasse Vorbehalte bzw. offene Ablehnung sowohl Europäern als auch Amerikanern aus Afrika und Südamerika entgegenschlägt.

Drohender Brexit: Was würde Washington favorisieren?

Aufgrund der kolonialen Vergangenheit dieser Kontinente und den dort durch westliche Konzerne und die CIA begangenen Verbrechen (unter anderem Regimewechsel in Guatemala und Sturz von Arnoldo Arbenz im Jahr 1954 zugunsten der National Fruit Company, heute Dole) darf einen das nicht sonderlich wundern. Die Liste der offenen Rechnungen ist sehr, sehr lang. Wie sollen sich die gegenläufigen Interessen von mehr als 200 Staaten jemals unter einen Hut bringen lassen?!

Großbritannien wird nun vor der Entscheidung stehen, welche Rolle es auf der internationalen Bühne der Politik in Zukunft spielen möchte. Dies gilt vor allem unter der Prämisse, dass eine privilegierte Partnerschaft mit den USA nach wie vor Bestand hat. In Amerika stelle man sich jedoch die Frage auf welche Weise Großbritannien den USA im Besonderen und dem Westen im Allgemeinen zukünftig noch nützlich sein könnte.

Dies gilt für den Fall, falls eine Mehrheit der britischen Bevölkerung zu einer Abkehr vom europäischen Kontinent votieren sollte. Aus Sicht Amerikas sollten sich die Briten viel mehr Gedanken darüber machen, wann es sich in globale Prozesse produktiv einbringen könne, anstatt andauernd darüber zu sinnieren, sich der Isolation zuzuwenden. In Washington sähe man es aus diesem Grund gern, wenn Großbritannien – vor allem aufgrund von europäischen Sicherheitsinteressen – ein Teil der EU bliebe.

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